#DeleteFacebook: Deshalb kommt die Kampagne längst zu spät

Die Profil-Daten von 50 Millionen Nutzern wurden bereits gesammelt.

Facebook ist momentan aufgrund eines weltweit diskutierten Datenskandals in aller Munde. Medienberichten zufolge wurden von der Firma Cambridge Analytica Daten über die Likes von rund 50 Millionen Facebook-Nutzern gesammelt und für gezielte politische Werbung genutzt. Facebook hatte nach den Vorwürfen die Empörung der Öffentlichkeit mit seinem eigenen Verhalten noch weiter angeheizt.

Die Konsequenzen ließen für das Unternehmen nicht lange auf sich warten: Facebook verlor nicht nur Dutzende Milliarden US-Dollar an Kapitalisierung (zum jetzigen Zeitpunkt sind es rund 35 Milliarden US-Dollar), zudem startete eine Anzahl von Twitter-Aktivisten die Kampagne #DeleteFacebook. Unserer Meinung nach kommt die Handlung erstens ein bisschen zu spät -das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen – und zweitens unterstreicht der Vorfall wieder einmal sowohl die Abhängigkeit der Menschen von modernen Technologien als auch ihre Vulnerabilität.

Security concerns with Facebook Marketplace?

Wie Sand am Meer

Ausschlaggebend für den Skandal war eine bereits im Jahr 2014 durchgeführte Studie von Wu Youyou und Michal Kosinski der Universitäten Cambridge und Stanford in Zusammenarbeit mit einem Koautor der Stanford University.

Im Rahmen der Forschung wurden die Teilnehmer darum gebeten, ein Persönlichkeitsporträt basierend auf dem OCEAN-Modell (aus dem Englischen: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit, Neurotizismus) zu erstellen; dazu gehörte auch der Download der Facebook-App MyPersonality, die die Likes der Teilnehmer analysierte. Ungefähr 86.000 Menschen nahmen an der Studie teil. Die grundlegende Schlussfolgerung der Autoren lautete: Das Internet weiß deutlich mehr über uns Menschen, als wir selbst.

Die Ergebnisse weckten das Interesse des Professors Alexander Kogan der Cambridge University. Kogan soll die ersten Forschungsdaten zwar angefordert haben, seine Forderung sei allerdings aus unbekannten Gründen abgelehnt worden. Warum ihm der Zugriff auf die Daten verwehrt wurde, ist nicht bekannt – Gründe könnten Berufsethik, mögliche rechtliche Probleme mit Facebook oder akademische Rivalität gewesen sein. Kogan beschloss daraufhin seine eigene Studie durchzuführen.

In der Zwischenzeit hatte Facebook seine Datenschutzeinstellungen bereits verschärft, sodass Likes standardmäßig für Apps von Drittanbietern nicht mehr zugänglich waren. Doch dann kam Kogan das gute alte Crowdsourcing zur Hilfe – und zwar in Form der Plattform Amazon Mechanical Turk, wo die App Thisisyourdigitallife gehostet wurde. Die Nutzer wurden darüber informiert, dass die App für die Durchführung einer psychologischen Studie erstellt wurde; Kogan wurde zum Forschungsleiter ernannt.

Der Zweck der Untersuchung? Die Likes von so vielen Facebook-Nutzern wie möglich zu untersuchen und darauf basierend soziopsychologische Profile zu erstellen. Die rund 270.000 Teilnehmer erhielten für die Teilnahme jeweils einen US-Dollar.

An der Studie selbst gab es nicht auszusetzen, obwohl Ausgaben von rund 270.000 US-Dollar nicht gerade wenig für eine psychologische Studie sind. Man bezweifelt, dass der Cambridge-Professor selbst für diese enorme Summe aufkam.

Für Marktforscher sind solche Daten eine Goldmine – und nicht nur für diejenigen, die für kommerzielle Unternehmen arbeiten, sondern auch für solche politischer Parteien. Die Vorstellung, dass politische Persönlichkeiten ebenso wie Massenkonsumgüter (basierend auf Zielgruppenpräferenzen) leicht zu vermarkten sind, existiert seitdem Stanley Milgram mit seinen berühmten soziopsychologischen Experimenten begann.

Milgram ist heutzutage unter anderem für seine Enthüllungen über die Verbundenheit der Nordamerikaner bekannt. Vermutlich ging er davon aus, dass die Entwicklung der Technologie uns immer näher und enger zusammen bringen würde. Aber selbst er konnte sich nicht vorstellen, dass Forschungskommissare, nachdem sie Daten von Tausenden von Menschen erhalten haben, diese Zahl um ein Hundertfaches erhöhen könnten.

Denn unbewusst gaben die Forschungsteilnehmer mit ihren eigenen Likes auch gleichzeitig die Likes ihrer Facebook-Freunde weiter und erhöhten die Zahl somit auf über 50 Millionen.

GetContact: Die App, die für Furore sorgt

Wie kam Cambridge Analytica an 50 Millionen Profile?

Wie Kogans Versuchskanichen zum Eigentum einer Firma in Cambridge wurden? Cambridge Analytica ist eine Tochtergesellschaft des Kommunikationsunternehmens SCL (Strategic Communications Laboratories), das auf Datenverarbeitung spezialisiert ist.

Die Details hierzu variieren von Quelle zu Quelle: Einige sind der Meinung, dass Kogan selbst ein Mitbegründer von SCL war, andere wiederum sagen, dass er lediglich ein bei der Firma angestellter Forschungsmitarbeiter war. Kommerzielle Unternehmen lagern soziologische und psychologische Studien und Forschungen gerne an Universitäten aus – das ist gängige Praxis. Im Normalfall geben die Universitäten die persönlichen Daten ihrer Forschungsteilnehmer allerdings (so gut wie) nie an die Kommissare der Studie weiter.

Facebook behauptet, die sofortige Vernichtung der Benutzerdaten gefordert zu haben, nachdem das Unternehmen im Jahr 2015 spitz bekam, dass SCL / Cambridge Analytica im Besitz von Benutzerdaten war. Facebooks Statement konnte Skeptiker allerdings nicht wirklich überzeugen; aus diesem Grund wurde die Kampagne #DeleteFacebook ins Leben gerufen.

Man muss dazu sagen, dass die Geschichte sehr facettenreich ist. Zunächst riecht der Braten stark nach akademischer Rivalität – der Wunsch von zwei Forschern, sich in Sachen „Stichprobenumfang“ gegenseitig zu übertreffen. Darüber hinaus besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Benutzervereinbarung, die mit den Teilnehmern getroffen wurde, verletzt wurde – die Teilnehmer (und ihre Facebook-Freunde) waren sehr wahrscheinlich nicht darüber informiert, dass ihre Daten an Dritte weitergegeben würden. Schlussendlich stehen die zweifelhaften Aktionen von Facebook selbst im Raum.

Was haben Facebooknutzer damit zu tun?

Für uns Nutzer ist dies ein erneuter Weckruf. Wie viele weitere Zwischenfälle muss es geben, bis wir endlich wach werden und erkennen, dass unsere Social-Media-Präsenz nicht nur uns selbst beeinflusst, sondern auch die, mit denen wir interagieren? Wenn Apps wie GetContact, MyPersonality und Thisisyourdigitallife die Runde machen, sollten Sie lieber zweimal darüber nachdenken, bevor Sie klicken.

Leider gibt es kein Zurück mehr. Die Leute dazu aufzufordern, sich selbst von sozialen Netzwerken und aus den sozialen Medien zu löschen, ist nicht weniger verspätet als die Kündigung von Verträgen mit einem Analyseunternehmen zwei Jahre nach allem, was bereits geschehen sein könnte.

Unseren Daten zufolge würden 78% der Nutzer ihre Social-Media-Gewohnheiten gerne ablegen, sind allerdings der Meinung, dass sie nicht dazu in der Lage sind. Für 62% von ihnen ist Social Media einfach zu praktisch, um mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben. Darüber hinaus haben viele keine Ahnung davon, wie viele Informationen (Videos, Fotos, Nachrichten) sie tatsächlich in sozialen Netzwerken veröffentlicht haben, natürlich auch auf Facebook. Aber genau das können Sie herausfinden und eine informierte Entscheidung für sich selbst treffen. Mit diesem Wissen sind Sie der Online-Sicherheit bereits einen Schritt näher gekommen!

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