Navigation auf See: Wie man früher den Weg fand und wie man es heute tut

Wie können wir heutzutage unseren Standort auf hoher See genau bestimmen und wie war dies den Seefahrern in alten Zeiten vor und während der Ära der Kolonialisierung möglich?

Lange Zeit bevor die Computer erfunden wurden, erkundeten die ersten Seefahrer — Wikinger und Polynesier — die Welt und machten viele Entdeckungen. Wie fanden sie ihren Weg über die Ozeane?

Die genaue Standortbestimmung auf offener See ist keine einfache Sache und ohne moderne Ausrüstung eine echte Herausforderung. Computersysteme für die Seefahrt können bekanntlich durch Viren für mehrere Tage außer Gefecht gesetzt werden. In manchen Fällen kam es schon so weit, dass Schiffe wochenlang ziellos umhertrieben, da sich keine IT-Sicherheitsexperten an Bord befanden, die das Problem lösen konnten.

Wie die Seefahrer in alten Zeiten über die Meere segelten

Die Polynesier waren großartige Seeleute. Hunderte Jahre bevor Kolumbus seine Reise über den Atlantik antrat, überquerten die Polynesier in ihren hölzernen Kanus den Pazifik und legten  zwischen den Inseln des polynesischen Dreiecks Entfernungen von mehreren tausend Kilometern zurück. Sie benutzten Sonne, Mond, Sterne, Wind und Meeresströmungen, um sich zu orientieren. Zudem fertigten sie spezielle Karten aus Hölzchen und Muscheln an.

Die Wikinger legten ebenfalls mehrere tausend Kilometer zwischen Nordeuropa, den britischen Inseln, Island, Grönland und sogar Nordamerika zurück. Berechnungen und genaue Beobachtung halfen ihnen: sie ließen sich von der Strömung treiben, folgten den Walen und hielten Raben an Bord — die Vögel waren darauf dressiert, nach dem nächstgelegenen Land zu suchen.

Verschiedenen Berichten zufolge bestimmten die Wikinger ihre Position auf hoher See mithilfe von Sonnenschattenbrettern, zählten die auf See zurückgelegten Tage, berechneten die ungefähre Geschwindigkeit ihres Schiffe und orientierten sich anhand der Sonne und der Sterne. Einige Experten meinen, dass sie zudem Sonnensteine verwendeten, die Licht polarisierten, um bei schlechtem Wetter das Azimut der Sonne zu bestimmen, wenn Sonne und Sterne nicht zu sehen waren.

Oftmals kamen die Wikinger mit mit ihrer eher intuitiven Vorgehensweise zu nicht ganz exakten Schlussfolgerungen. Ihre Geschichten erzählen von Reisen, in denen sie von Nebel und schlechtem Wetter umgeben waren. Unter solchen Umständen verloren die Seeleute von damals vollständig die Orientierung.

Die Schlacht um die Längengrade

Soweit man weiß, kam das Konzept der Koordinaten zum ersten Mal im alten Griechenland auf, ungefähr 200 vor Christus. Claudius Ptolemäus war der Erste, der ein System von Längen- und Breitengraden entwickelte.

Die Seefahrer stützten sich auf Land- und Himmelskarten in Kombination mit einem Koordinatennetz, um ihre Position zu bestimmen. Jedoch war es nicht einfach, die notwendigen Koordinaten zu finden. Zwar konnten die Sonne, der Mond und die Sterne dabei helfen den Breitengrad zu bestimmen, jedoch war es weitaus schwieriger, den Längengrad festzustellen.

Der Längengrad kann berechnet werden, indem man im selben Moment die Differenz zwischen der örtlichen Zeit und der Ortszeit eines bestimmten Bezugspunktes misst. Exaktheit ist entscheidend: am Äquator entspricht eine Abweichung von nur einem Durchbiegungsgrad 109 Kilometern. Die Zeit an Bord konnte durch Sonne und Sterne bestimmt werden, jedoch waren zu diesen Zeiten die Uhren nicht exakt genug, so dass die Seeleute nicht die Zeit des Heimathafens, oder die Zeit am Nullmeridian in Greenwich bestimmen konnten.

Viele Jahre lang war es die oberste Priorität, herauszufinden wie sich die Längengrade bestimmen lassen. Ludwig XVI. verkündete, dass er durch seine Astronomen mehr Land verloren hätte, als durch seine Armeen.

Zwischen dem sechzehnten und dem achtzehnten Jahrhundert boten Spanien, Holland, Portugal, Venedig und England — alle wichtigen Seemächte — hohe Belohnungen für denjenigen, der eine einfache und praktische Methode zur präzisen Bestimmung des Standortes eines Schiffes auf hoher See erfand. Die britische Regierung bot ein kleines Vermögen — 20.000 Pfund, was heutzutage, bzw. im Jahr 2015, ca. 2,60 Millionen Pfund, also 3,45 Millionen Euro entspräche. John Harrison gewann einen Großteil dieser Belohnung für seine Erfindung der Längenuhr. Dieses Instrument fand ab dem Jahr 1760 Eingang in den allgemeinen Gebrauch.

Vor dieser Erfindung war im Jahr 1757 der Sextant erfunden worden (verschiedene Wissenschaftler, einschließlich Isaac Newton, John Hadley und Thomas Godfrey hatten gleichzeitig daran gearbeitet). Dank dieser beiden Hilfsmittel konnte man schließlich das Rätsel um den Längengrad lösen.

Wie funktionierten sie? Am Mittag maß ein Seemann mithilfe des Sextanten den Winkel zwischen Horizont und Sonne und verglich ihn mit der Greenwich Mean Time, die von einer Längenuhr angezeigt wurde. Die Schiffe konnten so den Längengrad bestimmen — wie weit sich ein Schiff im Osten oder im Westen des Nullmeridians befand.

Was wird heute benutzt?

Heutzutage verfügen die meisten Schiffe über ECDIS (Electronic Chart Display and Information System) und GPS (Global Positioning System).

GPS benutzt ein Netzwerk, das aus mehr als 30 Satelliten besteht, um unseren präzisen Standort zu bestimmen. Zunächst wurde dieses System für Militärzwecke entwickelt, aber heutzutage kann es jeder ohne Schwierigkeiten verwenden — von Touristen bis hin zu Seeleuten und Flugzeugpiloten.

Zusätzlich zu GPS setzen Schiffe nun auf elektronische Karten — eine Veränderung, die es Seeleuten ermöglicht, so wichtige Tätigkeiten wie Kursbestimmung und -korrektur anstatt in Stunden in nur wenigen Minuten zu erledigen. Daraus resultierend haben Schiffsoffiziere heute mehr Zeit zu Verfügung, um ihre Umgebung zu beobachten und zu analysieren: Wetter, Geschwindigkeit des Schiffes und andere wichtige Faktoren. Der Seeverkehr ist insgesamt sicherer geworden, ein wichtiger Punkt für Schiffseigner, Kunden, die die Schiffe mit ihrer Fracht beladen und für Versicherungsunternehmen, die Versicherungsprämien festlegen.

So wie in der Luftfahrt, müssen an Bord eines Schiffes ebenfalls zwei ECDIS-Systeme verwendet werden. Wenn man vermeiden möchte, auf einem Schiff herkömmliche Land- und Seekarten aus Papier zu verwenden, dann benötigt man zwei ECDIS-Geräte mit separaten Bildschirmen und Datenbanken.

Im Fall des Falles

Es kann durchaus passieren, dass beide ECDIS-Systeme aufgrund von Fehlprogrammierung oder gezielten Hackerangriffen ausfallen. Computersysteme stoppen mitunter auch, um Patches und Aktualisierungen zu installieren. Obendrein finden Sicherheitsforscher regelmäßig Schwachstellen bei Schlüsseltechnologien wie ECDIS, GPS und dem Automatischen Identifikationssystem (AIS) für die Seefahrt. Die Fehler werden behoben, aber es tauchen immer wieder neue auf.

Fehler des Navigationssystems sind nicht weiter gefährlich, wenn man sich in Küstennähe befindet: Hilfe ist nah, Orientierungspunkte sind in Sichtweite und das Internet sowie Mobilverbindungen funktionieren normalerweise. Wenn Seeleuten an einem ungewissen Ort Probleme auffallen, können sie mit den dafür vorgesehenen Personen an Land Kontakt aufnehmen und Seekarten in PDF-Format anfordern, auf denen Untiefen, Strömungen und gefährliche Stellen verzeichnet sind.

Natürlich ist auch GPS keinewegs vollkommen. Die elektromagnetische Strahlung der Sonne kann ernsthafte Auswirkungen auf die Funktionstüchtigkeit von Satelliten haben. Abgesehen davon können Kriminelle (wie Piraten oder Terroristen) das Signal blockieren, indem sie einen simplen, preisgünstigen und leicht erhältlichen GPS-Störsender einsetzen.

Ein kompromittiertes GPS-System kann ein Schiff vom Kurs abbringen und es dabei so aussehen lassen, als würde es auf dem richtigen Kurs navigieren. Im besten Fall kann diese Situation eine Verspätung zur Folge haben — schlimmstenfalls kann es zu schrecklichen Zusammenstößen oder dem Auflaufen des Schiffes kommen. Um solche Situationen zu vermeiden, bringt die US-amerikanische Marine ihren Offizieren unter anderem auch bei, wie man sich bei der Navigation an Sonne und Gestirnen orientiert.

Signalunterbrechungen oder GPS-Blockaden auf offener See sind die wahrscheinlichsten Bedrohungen, denen sich ein moderner Offizier an Bord stellen muss, und sie können durchaus dazu führen, dass er seine Kenntnisse der astronomischen Navigation auffrischen muss. Natürlich haben Seeleute auch inoffizielle Methoden, um den eigenen Standort festzustellen: zum Beispiel können sie in einer Gefahrensituation GPS-Koordinaten auf ihr Smartphone herunterladen. Tatsächlich verfahren sie so, wenn sie den Standort des Schiffes bestimmen, aber nicht ihre Kabine verlassen wollen. Ein modernes Schiff mit einem Motor und einem elektrischen Generator, die gut in Stand gehalten werden, kann auf hoher See kaum verloren gehen.

Aber ohne elektronische Ausrüstung ist Navigieren immer noch ziemlich schwer. Ein Vorfall, der vor zwei Jahren geschah, zeigt anschaulich, wie viel Fortschritt wir in den letzten Jahrhunderten im Bereich der Seefahrt und Navigation tatsächlich gemacht haben. 2014 versuchte ein Ultramarathonläufer, die Strecke von Florida bis zu den Bermudainseln in einem „Hydropod“ (einem aufblasbaren Wasserfahrzeug, das an ein Hamsterrad erinnert und sich solange fortbewegt, wie die Person im Inneren läuft) zurückzulegen. Der Sportler war in guter körperlicher Verfassung, sein Fortbewegungsmittel konnte nicht sinken, aber er dachte nicht an die Navigation. Reza Baluchi hatte sich noch gar nicht weit von der Küste entfernt, als er sich verirrte. Schließlich hielt er ein vorbeifahrendes Schiff an, um nach dem Weg zu den Bermudainseln zu fragen.

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